Beitragsbild Christian W. Röhl Interview

"Durchhalten war mein Risikomanagement" Christian W. Röhl im Interview

Autor: The Dividend Post (Clemens)
12 Februar 2024

Mit Christian W. Röhl steht eine Vielzahl von Rollen in Verbindung. Der ehemalige Hertha-Trainer Lucien Favre würde wohl das Attribut "polyvalent" für den bekennenden FC-Bayern-Fan wählen. In erster Linie sprach ich mit dem eloquenten Investor, Familienvater und Sympathieträger unter Deutschlands "Finfluencer" in seiner Funktion als Vermögensverwalter in eigener Sache. Im Interview unterhielten wir uns über seine Erfahrungen aus der Finanzkrise 2008, Unternehmertum, das Auftauchen schwarzer Schwäne bei der Hochzeit und Glaubensfragen.

Lieber Christian, eine allzu ausführliche Vorstellung wird es wohl bei Deiner Bekanntheit kaum brauchen. Was sollten Leser dennoch von Dir wissen?

Christian W. Röhl: Hallo Clemens! Die Leser des Interviews sollten wissen, dass ich seit über 25 Jahren professionell an den Finanzmärkten aktiv bin und mich in einem fortgeschrittenen Stadium der Vermögensbildung befinde. Ich glaube, man nennt das heutzutage finanziell unabhängig oder finanziell frei. Deswegen kann und darf ich mir Meinungen erlauben, ohne Rücksicht auf irgendwelche kaufmännischen Zwänge zu berücksichtigen. Ich muss niemandem was verkaufen und tue das dementsprechend auch nicht.

Erzähl uns von Deinem Weg an die Börse.

Mein Weg an die Börse begann Silvester 1990/91 als ich meinen Großvater, der damals die Silvester-Anleihe der Bundesrepublik Deutschland zeichnete, darüber ausfragte, was es mit dieser Anleihe denn genau auf sich hätte. Seine Erklärungen weckten mein Interesse für die Sache. Somit waren die Zinsen der Einstieg, denn die damaligen neun Prozent auf eine zehnjährige Anleihe fand ich natürlich ganz großartig. Meine ersten Überlegungen drehten sich darum, was ich so zum Leben brauchte. Über den Daumen geschätzt – nach Abzug der Steuern – kam ich auf eine Summe so zwischen einer und zwei Millionen D-Mark. Alles in diese Anleihe gepackt lässt sich’s doch gut leben. Das Problem war: Diese eine oder zwei Millionen musste man erst mal haben. Ja, daraufhin habe ich dann natürlich bereitwillig zugehört, als mein Opa mich in die Welt der Aktien einführte, was zugegebenermaßen auch für einen jungen Menschen viel spannender war. Ich hatte das große Glück, in den 1990er Jahren als junger Mensch mit kleinem Geld schon eine ganze Reihe von Fehler zu machen, welche ich in meinem späteren Leben nicht mehr machen musste. Sehr frühzeitig stieg meine Lernkurve an und sehr frühzeitig musste ich erfahren, dass ich kein Gordon Gekko, Peter Lynch und auch nicht Warren Buffett war und jemals sein werde. Wobei auch klar ist: Egal wie viel Erfahrung man hat, Fehler macht man immer wieder. Es sollten halt nicht immer wieder dieselben sein.

Ich nehme an, dass Du auf die wilden Jahre des Neuen Marktes anspielst…

Naja, noch viel früher eigentlich. Also es wird allgemein immer so getan, als wenn die Gier an den deutschen Börsen erst zu dieser speziellen Zeit entstanden wäre. Es gab auch Mitte der 90er Jahre schon gewisse spekulative Nischen, also insbesondere Goldminenaktien, japanische Optionsscheine und generell strukturierte Wertpapiere.

Dieses Streben mancher Anleger nach schnellen Gewinnen mitunter Zuhilfenahme strukturierter Produkte bildete auch das Fundament Deines beruflichen Einkommens, wenn ich das so richtig in Erinnerung habe?

Ja, wobei ich natürlich in der Zeit damals im Wesentlichen unternehmerisch aktiv war. Ich hatte 1997 die Chance bekommen, das Going Public Magazin mitzugründen, das sich speziell mit Neuemissionen beschäftigte. Damit stand ich gleich im Zentrum dieses Neuer-Markt-Booms. Dort sammelte ich sozusagen meine ersten Erfahrungen in einem Startup. Allerdings schied ich dort bald aus, nachdem ich die Seiten wechselte und ein Angebot vom Börsenmakler Kling Jelko Dr. Dehmel in Frankfurt bekam. Mit 22 Jahren war ich dort im Emissionsgeschäft tätig und wurde relativ schnell zum Prokuristen befördert. Danach wurde ich wieder selbst unternehmerisch aktiv. In dieser Zeit bin ich immer in den Märkten aktiv gewesen, hatte aber meistens das Glück, wenn es viel zu verlieren gab, war ich meistens nicht investiert. Eine Ausnahme stellt das Jahr 1998 dar. In der Asienkrise hätte es mich beinahe zerlegt, weil ich auf Kredit in einer einzigen Aktie, der Singulus Technologies, engagiert war. Während der Neue Markt in sich zusammenbrach, war ich aber nicht mehr investiert, denn ich hatte mein gesamtes Geld zusammengenommen, um mich im Jahr 1999 an einer Internet-Agentur in Wien zu beteiligen. Diese brachten wir tatsächlich im August 2000 noch an die Börse und ich konnte Teile meiner Aktien veräußern. Das war auch gut, denn die Firma ging dann schnell in die Pleite. Das erlöste Geld investierte ich nicht, weil ich einfach müde von diesem Börsengang war. Ich verbrachte das darauffolgende Jahr auf Mallorca.

Nach diesem Jahr auf Mallorca hast Du wieder ein Unternehmen mit direktem Bezug zur Börse gegründet…

Genau, das bereits als eine AG gegründete ZertifikateJournal, welches wir vom Newsletter zum integrierter Medien- und Beratungsdienstleister für strukturierte Wertpapiere entwickelt hatten. Für die damaligen Verhältnisse hatten wir viel vorweggenommen, was heute gang und gäbe ist. Wir veranstalteten Community-Events und fokussierten uns auf diese Verzahnung von medialen Inhalten und Produkten. Das war auch der Grund, weshalb uns Axel Springer im Jahr 2006 gekauft hat. Ein Umstand, der damals noch weitgehend kritisch gesehen und u.a. in einem dreiseitigen Artikel im SPIEGEL thematisiert wurde. Das war nicht sehr angenehm. Aber bekanntermaßen gibt es ja nur eins, was schlimmer ist, als im SPIEGEL zu stehen: Nicht drin zu stehen.

Der Verkauf 2006 war rückblickend eigentlich kein schlechter Zeitpunkt, wenn man die von den USA ausgehende Veränderung der wirtschaftlichen Großwetterlage berücksichtigt?

Wir hatten ein enormes Glück. Ich kann ja jetzt nicht behaupten, dass war eine super Strategie und das war alles mein Genie. Mit dem Aufbau des Unternehmens waren wir schon zur richtigen Zeit am richtigen Ort mit den richtigen Leistungen. Als wir die Verträge zum Verkauf im September 2007 final unterschrieben, war die Subprime-Krise schon längst am Köcheln. Retrospektiv war es kurz bevor sich das Fenster schloss. Ein halbes Jahr später hätte der Deal nicht mehr funktioniert und die Finanzkrise hätte uns denselben radikalen Wertverlust eingebrockt, den unser Unternehmen hinnehmen musste.

2008 brannte es bereits lichterloh. Vor 15 Jahren musste Lehman Brothers Insolvenz anmelden und steht seitdem quasi als Synonym für die Finanzkrise. Zurückversetzt in diese Zeit trug sich Dein Übergang zum „Vermögensverwalter in eigener Sache“ zu. War das bereits Dein designierter Weg für das Investieren an der Börse?

Bei einigen Menschen, die ein Unternehmen verkaufen, ist es ja so, dass sie bereits die nächsten drei Ideen für Neugründungen besitzen. Ich war froh, dass es vorbei war, weil ich mich nicht als der geborene Unternehmer betrachte. Und mir war immer bewusst, dass meine erfolgreiche Unternehmerkarriere im Wesentlichen auf Glück basierte und ich sollte dieses Glück nicht herausfordern. Deshalb habe ich großen Respekt vor diesen Seriengründern. Vermögen entsteht durch Konzentration. Übrigens nicht nur durch Konzentration von Geld, sondern insbesondere durch die Konzentration von Lebensenergie als nicht-finanziellen Ressourcen.

Zu dem Zeitpunkt, sprich ab Verkauf Deines Unternehmens, war der Kern Deiner Investmentstrategie im Kopf vorgezeichnet?

Prinzipiell ja, aber sicherlich nicht zu diesem Grad finalisiert, wie ich es heute mit Menschen, die selbst ihr Unternehmen verkaufen oder mich um Rat fragen, durchgehen kann. Der Kern der Strategie entstand ohne Coaching, ohne Mentor oder sonst was dergleichen. Ich war und bin der Meinung es gibt tausende Unternehmer und Manager da draußen, die viel besser sind als ich. An deren Schaffen konnte ich mich dank des Verkaufserlöses nun beteiligen. Das ist doch eine großartige Sache!

Damals kursierten wilde Zahlen über unseren Verkaufspreis, die alle übertrieben waren, aber natürlich Begehrlichkeiten bei denen geweckt, die von Berufswegen Vermögen verwalten. Ich erhielt Zuschriften von Privatbanken, die mich nach dem Motto „Lassen Sie uns doch mal über Ihr Vermögen reden“ einladen wollten. Aber für mich war von vornherein klar, dass ich das selbstbestimmt machen möchte. Schließlich wollte ich die Erträge für mich generieren und nicht für andere. Bei manchen Private Banking- oder Wealth Management-Einheiten musste man sich damals noch mehr als heute fragen, ob das noch Vermögensverwaltung oder schon eher Reisebüro ist. Heute ist es mit diesen Events schon ein bisschen weniger geworden. Aber wenn ich ein Polo-Turnier sehen oder eine Driving-Challenge mit BMW haben möchte, dann kann ich mir das leisten und brauche keine Bank, die mich dazu einlädt. Genau genommen lädt dich niemand ein, wenn dir das Geld, was das Event kostet, am Ende über die Gebühren und Provisionen um das sieben- oder achtfache aus der Tasche gezogen wird.

Unabhängig davon bin ich seit über 20 Jahren Kunde einer kleinen Privatbank, die keineswegs dieses klassische Privatbanken-Flair mit Snob-Events, Einstecktuch und hochgeschlossene Kragen hat, sondern eher hemdsärmelig und unternehmerisch agiert – börsennotiert, aber mit einem persönlich haftenden Gesellschafter. Nicht so wie die Schlange Kaa im Dschungelbuch „Hör auf mich, folge mir“. Das ist nach wie vor meine Haupt- und Hausbank.

Waren damals auch andere Investments außerhalb der Börse eine verfolgenswerte Alternative für Dich?

Für mich war schon sehr wichtig in den Bereich der regenerativen Energien zu investieren. Von geschlossenen Fonds bin ich nach kurzer Prüfung schreiend weggelaufen. Neben den Gebühren störte mich vor allem, dass man sein Geld gibt, nichts mehr zu sagen hat und dann einfach darauf hoffen muss, dass die Sache irgendwie gut geht. Insofern machte ich das mit einem damaligen Partner ab Ende 2008 selbst. Wir haben kommunale und private Dachflächen im Allgäu angemietet, dort Photovoltaikanlagen installiert und den erzeugte Strom eingespeist. Allerdings waren wir mit unserem Portfolio einerseits einfach zu groß, um das einfach so nebenbei zu machen – andererseits indes auch viel zu klein, um dieses technisch und regulatorisch immer komplexere Geschäft effizient zu betreiben. Daher machten wir 2017/18 einen Strich unter die Rechnung, haben alle Projekte an einen großen Solar-Investor verkauft und die Firma liquidiert.

Kommen wir nochmals zurück zum Jahr 2008. Über einen Zeitraum von fast zwei Jahren sind die Kurse konstant nach unten gepurzelt. Wie hast Du diese schwierige Phase als jemand erlebt, der just zu diesem Zeitpunkt danach trachtete, sein Kapital an der Börse zu investieren?

In Deutschland war Ende 2007 die Besonderheit gegeben, dass für Privatanleger ein neues Steuerregime per 31. Dezember 2008 eingeführt werden sollte. Alle Aktieninvestments sollten hernach auf ewig steuerfrei veräußerbar sein, während alle ab 1. Januar 2009 getätigten Investments der Abgeltungs- und Kapitalertragsteuer anheimfielen. Sprich 25 Prozent plus Solidaritätszuschlag plus ggfs. Kirchensteuer. Das heißt, es war ein gewisser Druck da doch möglichst viel vor dem 31.12.2008 zu investieren. Diese „Lifetime-Chance“ wollte ich für mich nutzen.

Was das Jahr 2008 an der Börse betriff, kann sich jeder, der die Zeit nicht am eigenen Leibe miterlebt hat, die einschlägigen Charts anschauen. Das Geld wurde von Monat zu Monat weniger, das war schon ein immenser Stresstest – auch durch den Newsflow mit dieser Weltuntergangsstimmung. „Wir haben in den Abgrund geblickt“, sagte unser Finanzminister Peer Steinbrück damals über das Debakel bei der Hypo Real Estate Bank. Gerade der Herbst 2008 ging also schon an die Substanz, obwohl es nicht mein erster Crash war. Aber 1998 ging’s schnell vorbei, 2000-03 steckte mein Geld in meinem Unternehmen. Doch 2008 hatte ich plötzlich Fallhöhe. Da denkt man, jetzt hast du ein gewisses Etappenziel finanziell erreicht, kannst dich eigentlich zurücklehnen und dann ist plötzlich ein Jahr später das, was im Depot steht, nur noch die Hälfte wert von dem, was du bekommen hast.

Dieser konstante Wertverlust zehrte natürlich an mir. Allerdings dachte ich mir wenig später, dass die Welt sich schon weiterdrehen würde. Leute werden auch weiterhin essen, werden sich hoffentlich weiterhin die Zähne … also warum soll ich ausgerechnet nun eine Colgate-Palmolive verkaufen?

Also ich will ja nicht so tun, als wenn die Werte, die ich damals rausgesucht habe, allesamt jetzt nur großartig gewesen wären. Eine Solarworld musste ich hinterher annähernd als Totalverlust verbuchen, den ich nicht einmal steuerlich geltend machen konnte. Ansonsten will ich mich aber nicht beschweren. In dieser Phase war ein Blick auf Dividenden hilfreich. Dividenden sind ja im Grunde Nachrichten vom Unternehmen. Zwar hörst du überall, dass die Welt zusammenbricht, aber scheinbar gibt es dann doch noch genügend Unternehmen, die sich zutrauen, ihren Aktionären Ausschüttungen zukommen zu lassen. Das würden sie eher nicht tun, wenn sie davon ausgehen, dass alles zusammenbricht. Insofern durfte ich am Beginn meiner Laufbahn als „Vermögensverwalter in eigener Sache“ diese beruhigende psychologische Wirkung von Dividenden kennenlernen.

Vorhin erwähntest Du das Wort Stresstest. In erster Linie denke ich hierbei an Risikomanagement. Wie hat Dein Risikomanagement zur Zeit der Weltfinanzkrise ausgesehen?

Durchhalten war das Risikomanagement. Mit der steuerlichen Möhre vor der Nase und dem Optimismus, dass sich die Dinge wieder zum Besseren wenden würden. Das Risiko auf Einzelwertebene mit Stoppkursen zu managen, wie ich das früher tat, war 2008/09 keine Alternative. Ich hatte auch nicht den Eindruck, dass ich damit besonders erfolgreich war. Wenn man als kurzfristiger Trader unterwegs ist und auf Bewegungen des Marktes spekuliert, dann braucht man einen Stoppkurs.

Ich will mich aber an Unternehmen beteiligen, also brauche ich mir keine großen Gedanken über Kurse machen. Einfach durchhalten und breit diversifiziert sein, das hört sich natürlich immer doof an. Man wird natürlich als smart wahrgenommen, wenn man ständig den mahnenden Zeigefinger erhebt. Aber ich halte es mit Artikel 3 des Rheinischen Grundgesetzes „Et hätt noch emmer joot jejange“.

Ich vergleiche das auch, wohlgemerkt immer aus der Perspektive des langfristigen Anlegers und nicht des Traders, so ein bisschen mit Fußballspielern. Die besten Stürmer sind diejenigen, die einfach draufhalten. Die nicht immer nochmal einen Haken schlagen und nachdenken. Sondern einfach Zack, draufhalten, Entscheidungen treffen und das war‘s. Ich glaube, dass gilt auch für Investoren mit langfristigem Hintergrund. Sich eine Strategie zurechtlegen und auch an dieser festzuhalten, der Versuchung, ständig alles zu optimieren und dies und das noch besser zu machen, nicht zu erliegen. Oder wie es Jack Bogle treffend formulierte: “the greatest enemy of a good plan is a dream of a perfect plan.”

Deswegen verstehe ich es auch nicht, dass die Leute, die sich als langfristige Investoren bezeichnen, es gar nicht abwarten können, wenn Quartalsergebnisse kommen. Ich sage es ganz offen, ich weiß nicht mal wer wann Quartalsergebnisse meldet. Wenn Apple Quartalszahlen meldet, na gut, dem kann man schwer entgehen. Wann wird die Dividende gezahlt? Ich habe keine Ahnung und kann dir nicht sagen, wer wann zahlt, aber ich weiß mit Sicherheit, dass bislang keine Dividende, auf die ich einen Anspruch hatte, an mir vorübergegangen sei. So etwas im Vorhinein zu wissen, dafür ist mir meine Lebenszeit zu schade.

Misst Du der Positionsgröße beim Investieren eine Bedeutung bei? Sprich dem Investieren in Tranchen oder doch lieber die Position „vollmachen“.

Bei mir war es damals aus der steuerlichen Situation heraus ein klar abgegrenzter Zeitraum, warum ich einen Gutteil des Erlöses aus dem Unternehmensverkauf investierte. Ansonsten ist es ja auch so eine Glaubensfrage, ob man lieber in Tranchen oder alles Geld auf einmal investiert. Die Empirie spricht eine deutliche Sprache, denn statistisch war es in den meisten Fällen am sinnvollsten, sofort alles und eben nicht in Tranchen zu investieren. Es bleibt die Frage, ob man in diesen Zeiträumen eines drastisch fallenden Marktes bei voller Investitionsquote, diesen Drawdown aushält. Das hängt mit der Persönlichkeitsstruktur, mit Erfahrung und natürlich auch mit dem Vermögensstand zusammen. Zum Einstieg ein Depot mit minus 30 Prozent und kein Cash mehr auf der Seite steigert die Chance, sich von Aktieninvestments abzuwenden. Zumindest sehe ich sie größer als bei jemandem, der schon drei Bärenmärkte durchgestanden hat. Geldanlage ist keine Mathematik, sondern es geht auch um das Financial Wellbeing. Insbesondere bei dem Investor, der zum ersten Mal eine größere Summe anlegt, ist es durchaus hilfreich, ein bisschen Cash auf der Seite zu lassen, um eben ein solches Szenario wie im März 2020 oder im zweiten Halbjahr 2018 zu nutzen.

Hattest Du damals ein Regelwerk als Guideline für Deine Investmentstrategie, worin Du investierst und was aus dem Scope fällt?

Klar habe ich Prinzipien. In Bank-Aktien beispielsweise investiere ich erst seit 2022 wieder, motiviert durch den lieben Helmut Jonen, bei Instagram bekannt als Waikiki5800. Zuvor war ich da sehr reserviert, wohl auch, weil ich zu viel mit Banken zusammengearbeitet hatte. Das ist wie wenn jemand im Schlachthof arbeitet, der isst auch oftmals keine Wurst. Ebenso bin ich bei Börsengängen skeptisch. Ich habe einfach zu viele Transaktionen von der anderen Seite gesehen, als dass ich da wirklich bei IPOs mich groß exponieren müsste.

Das Verständnis über Geschäftsmodelle und wie sie funktionieren möchte ich nachvollziehen können. Bei Biotechnologie kann ich nicht einmal die Anwendungsgebiete fehlerfrei aussprechen. Somit maße ich mir auch nicht ein Urteil an, welches Biotech-Venture jetzt besonders aussichtsreich dasteht. Im Übrigen gilt das Gleiche im High-Tech Bereich. Da kann mir der großartige Pip Klöckner aus dem Doppelgänger-Podcast noch fünfmal den Unterschied zwischen Snowflake, Crowdstrike und Cloudflare erklären. Ich tue mir schon schwer, die Namen zusammenzukriegen. Insofern ist es sicherlich bei mir so, dass ich bei Einzelaktien im Technologiebereich sicher nicht so breit aufgestellt bin. Aber es gibt ja auch Fonds und bei Microsoft und später auch bei Apple – beides ja Dividendenzahler – war ich irgendwann doch etwas stärker investiert und durch die Performance sind das heute meine beiden größten Depotpositionen.

Eine Aussage von Dir lautet, dass eine hohe Dividendenrendite kein Qualitätskriterium ist. Was sind denn aus Deiner Sicht wichtige Qualitätskriterien?

Ein Qualitätskriterium ist, wenn ein Unternehmen über mehrere Wirtschaftszyklen, auf alle Fälle über mehr als einen kompletten Wirtschaftszyklus, steigende Dividenden zahlt und diese Dividenden auch tatsächlich operativ verdient.

Wenn wir über lange Zeiträume von 20 Jahren reden, zeigt das eine gewisse Resilienz – die Fähigkeit, Geschäftsmodelle anzupassen und Marken und Marktpositionen in neue Zeiten zu transformieren. Track Record und Kapitalallokation: Das sind für mich ein sehr, sehr wichtige Indikatoren. Es stiftet keinen Wert, irgendwie jedes Jahr so viele Krümmel an Erträgen zusammen zu kehren, dass man gerade noch eine Dividende auszahlen kann, die mindestens so hoch ist wie im Vorjahr. Ein Unternehmen erwirtschaftet dank eines resilienten Geschäftsmodells seine Erträge, um über die Zeit mit einer atmenden Dividende diesen Anstieg den Aktionären zu bieten. Für mich spiegelt sich darin unternehmerische Qualität wider. Ich sage ausdrücklich nicht, dass Unternehmen, die das nicht können per se schlechtere Unternehmen sind. Aber Unternehmen, die es können, sind mit hoher Wahrscheinlichkeit gute Unternehmen.

Neben dem Buy-&-Hold hebst Du die Wichtigkeit des Check hervor. Welches Unternehmen ist bei Dir beim letzten Check durchgefallen?

Vergangenes Jahr erzählte ich bei Echtgeld.TV und im Podcast „Leben mit Aktien“ vom Börsenbetreiber Nasdaq. Diese letzte Übernahme zu einem wirklich abenteuerlichen Preis von der wahrscheinlich smartesten Private Equity Gesellschaft Amerikas, nämlich Thoma Bravo, sieht für mich sehr danach aus, dass da krampfhaft versucht wird, irgendeine Skalierungs-Perspektive im Bereich Fintech aufzubauen. Das war mir schlichtweg zu viel an Abenteuer. Deswegen verabschiedete ich mich von der Nasdaq – als Plattform, nicht als Index – und dank der mehr als Verdoppelung war es ein wirklich schöner Abschied.

Welche Tools verwendest Du für Deinen Investmentprozess und Portfoliomanagement?

Im Jahr 2008 habe ich mir eine Excel-Applikation geschrieben, mit der ich dieses Gesamtvermögen konsolidiert betrachten kann und insbesondere auch Dividendeneingänge und Steuerabrechnungen prüfe. Damals war mir völlig klar, dass zumindest die ersten beiden Jahre beim Übergang zur Abgeltungssteuer bei den Abrechnungen relativ viel falsch laufen würde. Das ist auch passiert. Manches wurde dann korrigiert, manches musste man erst über die Steuererklärung korrigieren lassen.

Dieses Excel hat mir gute Dienste geleistet. Wenn man mit sowas mal anfängt, dann machst du hier noch ein kleines Feature dran und hier noch eine Auswertung. Das funktioniert für mich hervorragend und deswegen habe ich auch überhaupt keine Ahnung davon, was es ansonsten an Tools gibt – ausgenommen den extraETF-Finanzmanager, den ich wirklich für ein ganz großartiges Tool halte. Insbesondere wenn es um die Granularität von Branchen- wie Länderallokationen und die Überlappungen von mehreren ETFs geht. Ich schaue nicht auf die Tageswerte, um zu wissen, wie reich ich heute bin. Sondern für den Fokus auf Cashflows reicht mein Excel wunderbar aus. Ansonsten verwende ich das Chart-Tool von Stock3, die ehemalige BörseGo. Festzuhalten ist, dass man die Kosten für solche Tools immer in Relation zum Vermögensstand betrachte muss. Manchmal sehe ich Leute, die sparen 250 Euro im Monat und geben dann 30 Euro für Tools monatlich aus. Sorry, das ist für mich ein klares Missverhältnis. Es gibt großartige Plattformen wie den Aktien.guide oder den Aktienfinder. Aber man sollte sich klarmachen, ob der Gebrauch solcher Tools wirklich zehn Prozent seiner Sparrate ausmachen muss.

Für fünf ETFs im Depot braucht es meiner Ansicht nach keine Portfolio-Tracking-Software… Bevor zu viel Zeit da reinfließt, sollte man erkennen, wo der wirklich relevante Hebel für den Vermögensaufbau liegt. Den Hebel sollte man zunächst bei der beruflichen Tätigkeit ansetzen, aber nicht daran, dass das Portfolio bestmöglich dokumentiert ist. Extrem skeptisch bin ich bei Börsenbriefen. Bevor man dafür Geld ausgibt, sollte man mal sehen, dass man gerade in den Sozialen Medien, auf Plattformen wie Substack oder eben in Blogs wie Deinem an kostenlosen Informationen bekommen kann. Das ist schon so viel vorhanden und wenn man damit kein Geld verdient, wird man es mit dem kostenpflichtigen Börsenbrief auch nicht.

Apropos Social Media & Co. Auf X (ehemals Twitter) treibst Du Dich auch seit Jahren aktiv herum und suchst den Austausch mit der Community mittlerweile auf verschiedenen Plattformen. Was waren ursprünglich Deine Beweggründe und Motivation dafür?

Als ich mich erstmals bei Twitter im August 2011 registrierte, bestand der einzige Grund darin, um Holger Zschäpitz zu folgen und seine Tweets zu lesen. Im Teich neben dem Schloss, wo meine Frau und ich geheiratet haben, entdeckte mein lieber Freund Holger damals zwei schwarze Schwäne und hat diese dann sofort gepostet – in Anlehnung an das Buch von Nassim Nicholas Taleb, denn es war auch der Tag, als die Amerikaner ihr Triple A Rating verloren. Also wieder einmal die pure Untergangsstimmung an den Finanzmärkten…

Nachdem ich dann 2016 das Buch „Cool bleiben und Dividenden kassieren“ geschrieben hatte, habe ich die sozialen Medien und insbesondere Twitter dann aktiver genutzt. So alt bin ich ja auch nicht und relativ schnell bekam ich Spaß daran. Ich mag diese Prägnanz, ohne die Sätze mit Füllworten aufzublasen. An der einen oder anderen Stelle kriegt man den Vorwurf, das ist jetzt nicht differenziert genug. Ok, mag manchmal so sein. Aber ich würde mal sagen, 90 Prozent der Gedanken kann man schon in 280 Zeichen ausdrücken. Man sollte nicht so tun, als wenn alles, was einem so durch den Kopf geht, so genial wäre, das es eigentlich einen Blogpost bräuchte. Man muss sich auch nicht immer so ernst nehmen.

Es existieren mittlerweile viele Kooperationen zwischen Produktanbietern bzw. Medien und den Finanzbloggern, Finfluencer & Co.? Wie handhabst Du es mit der eigenen Verantwortungsrolle im Umgang mit der interessierten Öffentlichkeit?

Ich mache nun sehr wenige Kooperationen. Bei Echtgeld.TV existiert seit mehreren Jahren die Partnerschaft mit Scalable Capital. Die Verbindung zu Scalable resultiert natürlich auch daraus, dass ich Erik Podzuweit noch aus meiner Zeit im Derivate-Business kenne – und Erik ist nicht nur ein großartiger Startup-Unternehmer, sondern einfach ein toller Mensch.

Bei der Kooperation mit der FAZ fühlte ich mich geschmeichelt. Und ansonsten war’s das. Ich bin nicht so der Typ, der mit einem Dutzend Werbeschildchen unterwegs sein mag – aber das muss jeder für sich selbst entscheiden. Außerdem finde ich es an sich positiv, dass die sog. „Finfluencer“ dazu beigetragen haben, dass Leute ein Depot beim Neo-Broker aufmachen und mit ihren ETF-Sparplänen loslegen. Wirkliche Bedenken habe ich bei allem, was mit CFDs zu tun hat, mit Copy Trading, mit Crowdinvesting und allem, was auf „Churning“ hinausläuft, also auf häufige Umschichtungen.

Was mir ebenso wichtig ist: Wenn es um Einzelaktien geht, darf es nicht marktbewegend sein. Die Liquidität im Aktienmarkt wird gerade hier in Deutschland überschätzt und da kannst Du über viele Werte einfach nicht in Social Media schreiben. Da reden wir nicht nur über das Verantwortungsgefühl, sondern auch ganz klar über Marktmanipulation. Wobei ich für Themen wie Marktmissbrauchsverordnung, Regulatorik oder Compliance eine andere Sensibilität habe als der klassische Finfluencer. Im Wesentlichen liegt das an meinem professionellen Hintergrund, an meiner Erfahrung als Vorstand sowie Aufsichtsrat. Nicht zuletzt macht mich auch die Rolle als Anlegerschützer und HV-Sprecher für die DSW Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz sensibler im Hinblick auf diese Dinge.

Vor allem in Anbetracht der Fallstricke, die einem drohen können, selbst wenn in guter Absicht gehandelt wurde…

Genau. Es ist klar: Was an Informationen rausgeht, muss richtig und seriös sein. Es sollte nicht die Tatsachen verdrehen, egal in welche Richtung. Irreführende Werbung für Börsenbriefe und Abofallen ist sicherlich das letzte, was die sogenannte neue deutsche Anlegerkultur braucht.

Die Geschehnisse auf dem österreichischen Kapitalmarkt sind Dir keineswegs fremd. Wie ist Deine Perspektive auf bzw. Einschätzung zum österreichischen Aktienmarkt?

Da die Wiener Börse von Christoph Boschan, den ich aus seiner Zeit mit der Börse Stuttgart gut kenne, geleitet wird, muss ich vorsichtig mit meinen Worten sein. Im Ernst, er war natürlich eine Top-Verpflichtung – wenn der Konrad Laimer bei Bayern nur genauso einschlagen würde! Aber obwohl Christoph und sein Team sicherlich eine Menge bewegen konnten, muss man feststellen, dass es dem Börsenplatz Wien sowohl an Breite und Tiefe als auch an Wahrnehmung mangelt. Der „Wien-Malus“ ist nicht wegzudiskutieren. Es gibt Unternehmen, die, wenn sie nicht in Wien notiert wären, an anderen Börsenplätzen deutlich bessere Bewertungen hätten, also einfach ein höheres Multiple bekommen könnten.

Wenn ich schon so ungeniert dazwischen grätsche: welche bestimmten Unternehmen mit Wien-Malus kommen Dir in den Sinn?

Beispielweise denke ich an eine Wienerberger, die über lange Zeit sehr günstig bewertet wurde. Genauso eine Strabag, wobei die Aktionärsstruktur speziell ist. Aber obwohl so wenige Aktien von einem so herausragenden Unternehmen handelbar sind, wundert mich die eigentlich recht niedrige Bewertung. Bei einer Mayr-Melnhof, die an sich ein Qualitätswert für mich ist, beobachte ich die weitere strategische Entwicklung durch das Management genau und ob schließlich das Wachstum der letzten Jahre mit den zahlreichen Akquisitionen so aufrechterhalten werden kann. Für ein Indexinvestment kommt Wien ohnehin nicht in Frage, weil der ATX von diesen wenigen Riesenwerten förmlich erdrückt wird. OMV, plus ein paar Banken und Versicherungen plus eine Verbund. Das ist ja kein Index!

Ergänzend noch eine Beobachtung zum Wien-Malus. Eine Telekom Austria oder die Österreichische Post mögen gute Unternehmen sein. Aber ich sehe keinen Katalysator dafür, dass dieser Bewertungsabstand in irgendeiner Form aufgeholt wird. Natürlich kann man sich als sogenannter Dividenden-Investor an einer Telekom Austria beteiligen. Die erhaltene Dividende macht für uns Deutsche aber erstmal wenig Freude, denn die Quellensteuer muss zurückgefordert werden. Österreich bleibt ein schönes Jagdrevier für Freunde von Spezialwerten. Wer gerne Waffeln isst, kann sich Manner-Aktien zulegen. Ähnlich eine Gurktaler oder Oberbank, wo aber Vorsicht bei den Spreads gilt. Fazit: sehr, sehr kleiner und dadurch für größere Investoren auch schwieriger Markt.

Da Du Dich mittlerweile im erweiterten Stadium der Vermögensbildung befindest, wie sieht denn das Zukunftsbild und damit verknüpfte Zielsetzung Deiner Strategie aus?

Der Vermögenserhalt ist zunächst einmal das Grundthema – nach der Maxime, das reale Nettovermögen zu erhalten. Dafür brauchst du schon Zuwächse, um die Inflation und die Steuern auszugleichen. Dazu ist es schön, wenn aus dem Vermögen dann auch noch entsprechende Erträge fließen. Ich führe keine Performanceziele und bin zufrieden, wenn ich unseren Lebensstandard aus unserem Vermögen bestreiten kann. Dazu ist ein schönes Gefühl, wenn man das gar nicht muss, weil ansonsten durch andere Aktivitäten regelmäßig Geld reinkommt. Und es ist auch angenehm zu wissen, dass ich diese ganzen Aktivitäten nicht machen muss, ohne die Kapitalbasis anzuknabbern.

Zum Abschluss: worum geht‘s im Leben?

Ich halte es mit dem American Dream: Life, Liberty and the Pursuit of Happiness.

Christian, vielen Dank für Deine Zeit!






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